Ginevra Donamotti.

Bekannt aus Enthüllung - Zwischen Liebe und Hass

Elba 2016

 

Es ist einige Wochen her, seit ich mich dir anvertraut habe. Jeden Tag wird ein neuer Vorwand gefunden, um die Gefühle, Ängste und Gedanken in meiner geschundenen Seele einzuschließen, anstatt diesen Ballast in deine Hände abzugeben. Mir ist bewusst, wie wichtig dieser Prozess für die Heilung ist. Der Psychologe hat mir schon unzählige Male nahegelegt, dich armes Tagebuch dafür zu missbrauchen und das mir widerfahrene Leid niederzuschreiben. Meinem gepeinigten Gemüt auf diese Weise zu verhelfen abzuheilen. Dennoch wehre ich mich konsequent dagegen, diesen grausamen Lebensabschnitt erneut zu durchleben, nur um die Erinnerungen auf Papier zu bringen. Genau diese Rebellion ist es, die mir das Gefühl der Freiheit, Selbstbestimmung und Kontrolle über mein Leben, ein kleinwenig zurückgibt. Zumindest den Anschein weckt. Mir ist bewusst, wie kontraproduktiv dieses Verhalten ist und wie arg ich mir im Grunde widerspreche. Die Personen in meiner unmittelbaren Umgebung ziehen mit Sicherheit in Erwägung, dass ich unter einer Bewusstseinsstörung leide. Die wechselhaften Anfälle zwischen Trauer und gänzlichem Desinteresse sind kräftezehrend. Meine Psyche ist labil, mein Körper müde und mein Geist gebrochen. Der sonst so entschlossene Wille ist demoralisiert und hat sich gemeinsam mit dem letzten Fünkchen Hoffnung in die hintersten Ecke verbarrikadiert. Ich erkenne mich nicht wieder. Sagte man mir früher nach, konsequent bei einer Sache zu sein, so würde mir heute Diskrepanz vorgeworfen. Das spiegelt sich tagtäglich vermehrt in meinen Reaktionen und Handlungen wieder. Einerseits rufe ich nach Hilfe, doch andererseits verweigere ich sie. Brauche die Liebe, die Geborgenheit und lehne sie zugleich strikt ab. Ich ziehe mich komplett zurück und gestatte es niemandem sich mir zu nähern. Urteile über mich oder nicht. Mir ist es herzlich egal. Das schwarze Loch tief im Inneren, wird stetig größer und hat mich schon fast vollständig verschluckt. Das Licht wirkt kontinuierlich schwächer. Die Dunkelheit dadurch stärker. Ich verstecke mich vor der Welt dort draußen und erlaube meinen Dämonen, sich an mir zu laben. Ihre Ranken sind gierig, besitzergreifend und umschlingen mich innig. Ich finde den Ausweg nicht und mir fehlt die Kraft, nach einer Lösung zu suchen. 

Gegenwärtig halten wir uns auf Elba auf und ich versuche vergeblich, meine Verfassung zu überspielen. Selbst Alessandro, der anfangs wie ein Ritter in goldener Rüstung erstrahlte, gelingt es nicht, die warmen Sonnenstrahlen an diesen verflucht kalten Ort zu bringen, um somit die verschlossene Tür wenigstens einen Spalt zu öffnen. Er gibt sich die allergrößte Mühe, doch ich schaffe es nicht, mich aufzurappeln. Es kommt mir wie gestern vor, wo Alessandro hineingestürmt ist, mich aus seinen Fängen gerettet hat und ich nach so langer Zeit in Sicherheit war. Die Euphorie ergriff von mir den vollkommenen Besitz. Die Schwere fiel von mir ab, die Luft roch frisch und füllte meine Lungen aus. Das Einatmen war kein Problem mehr. Während meiner Gefangenschaft habe ich ständig damit gekämpft nicht durchzudrehen. Regelmäßig hyperventilierte ich und war gezwungen zu lernen, mich selber zu beruhigen, wenn ich ihm nicht einen zusätzlichen Grund für seine absurden Strafen geben wollte. Seine stahlblauen Augen verfolgen mich überall. Der Geruch von verbrannter Haut umgibt mich ständig. Ich schaffe es nicht, seine Berührungen wegzuwaschen und der Schmerz auf meinem Rücken hallt immer noch nach. Um die Male, die er auf mir hinterlassen hat, zu sehen, müsste ich mich trauen, meine Rückansicht zu betrachten. Die Zeichen spüre ich täglich. Zu wissen, dass sie vorhanden sind, mittlerweile zu mir gehören, erzürnt mich. Ich kann mit dieser Wut nicht umgehen. Sie ist so viel stärker als ich, schlägt kurz darauf in Kummer um und lässt mich völlig überfordert zurück. Das Phantom hat mich zerstört, meine Lebensgeister gestohlen. Ich vegetiere nur so vor mich hin und gleiche einer Schlafwandlerin. Ich rede kaum, esse wenig, reagiere verzögert und starre täglich stundenlang aufs Meer hinaus. Diese bittere Pille zu schlucken, ihm diesen Sieg zu überlassen, obwohl ich aus seinen Fängen entkommen bin, schmeckt nicht. Und mir ist klar, er wird mich so lange suchen, bis er mich gefunden hat. Dafür ist er zu sehr von mir besessen. Seiner Obsession bin ich vier Monate unterlegen gewesen. Und er hat mir verdeutlicht, dass ich sein bin. Die Zeit über, die ich zu seiner Gefangenen zähle, hat er mich nicht angerührt. Sich meiner Bitte diesbezüglich ergeben und mir die Zeit zur Gewöhnung zugesprochen. Doch seine Geduld mit mir war am Ende, die Frist verstrichen. Das haben mir seine Lakaien dreckig lachend zugeraunt. Sie haben ihn sogar darum gebeten mich zu teilen. Bei der Erinnerung laufen Tränen meine Wangen herab. Das Grauen nimmt Besitz von mir. Wäre Alessandro mit seinen Brüdern nicht einmarschiert, hätte er ... hätten sie ... Ich möchte es mir nicht ausmalen. Diese Albträume quälen ohne Mitleid und haben mich fest im Griff. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich nachts schreiend aufwache, wie oft ich meine Pein durchlebe, Alessandro in mein Zimmer kommt und mir versichert, dass ich in Sicherheit bin. Die Angst sitzt tief. Meistens bleibt er bis zu den frühen Morgenstunden bei mir. Nur so schaffe ich es, etwas Schlaf zu finden. Wenn es so weiter geht, werde ich nicht drum herum kommen und auf Medikamente eingestellt werden. Die Beruhigungsmittel helfen mir nicht und Alessandro wird es nicht mehr lange mitmachen. Wie könnte er? Er hat mit Sicherheit keine Lust auf eine Gestörte aufzupassen. Selbst, wenn ihm mehr Geld geboten wird.

Erst gestern habe ich ein Telefonat mitbekommen. Mit wem er gesprochen hat, kann ich nicht erahnen, dass es um mich ging war eindeutig. Mitleid klang aus seiner Stimme. Er gibt sich die Schuld daran mich nicht eher gefunden zu haben. Ich bin ihm jedoch unendlich dankbar dafür, dass er nicht aufgegeben hat. Doch warum zur Hölle, kann ich es ihm dann nicht zeigen? Ich bin ein Wrack! Soll dies, das Leben sein, das ich weiter führen werde? Fernab von meiner Familie und Freunden? Versteckt vor der Welt. Würde ich ihre Nähe und Sorge überhaupt ertragen oder diese mich zusätzlich belasten? 

 

Ist der Tod nicht doch eher die willkommenere Lösung für alle Beteiligten? Alledem ein Ende zu setzen und als Siegerin hinauszutreten, denn dort, wo ich danach hingehen werde, wird er, das Phantom, mich niemals finden.

 

Copyright Ella Segreti