Do you Really want This?

 

Diese Frage habe ich mir in den letzten Jahren tatsächlich immer öfter gestellt. Ist es wegen der Trump-Ära? Greta-Mania? Der Corona-Invasion? Dem Russland-Ukraine-Krieg oder der Energiewende? Es war nicht hauptsächlich immer ein Hauptgrund da, weswegen ich mich das fragte. Der ganze Nachrichten-Wahnsinn der uns tagein, tagaus überflutet, perlt doch, gefühlt, mittlerweile an der Menschheit ab. Sind wir noch aufnahmefähig für wichtige Nachrichten? Glauben wir diese überhaupt oder vermuten wir direkt eine Manipulation / einen Fake dahinter? Ich muss gestehen, dass ich mich dabei immer öfter erwische, wie ich bestimmte Szenarien kommentiere oder bei den bestimmten Sachverhalten schnaufe. Versteht mich bitte nicht falsch, es ist nicht, dass mich schreckliche Nachrichten ungerührt lassen, aber dennoch habe ich das Gefühl, dass mein Fell dicker geworden ist. Mir bestimmte Bilder nicht mehr direkt zu nahe gehen. So eine Art Selbstschutzmechanismus, eben. Bin ich da die einzige, der es so ergeht? 

 

Eine Sache allerdings beschäftigt mich tatsächlich seit dem Beginn der Greta-Klima-Protesten vor vier Jahren. Und zwar, dass wir heute tatsächlich im Grunde auf dem gleichen Stand wie vor circa dreißig Jahren, stehen. Ich erinnere mich, dass ich in der weiterführenden Schule, in der fünften Klasse, eine Doku zwecks Biounterricht gesehen hatte. Es ging um Buckelwale und, dass man sie vor dem Aussterben schützen sollte. Damals schon. Oder zum Beispiel auch im Erdkundeunterricht. Dort wurde das Thema Waldrodung einer extremen Bedeutung zugesprochen. Wir Schüler waren damals über die möglichen Folgen schockiert und machten uns Sorgen um unsere Zukunft. Doch weiter kam nichts. Waren wir nicht aufgeweckt genug, um die Problematik zu verstehen? Was ist an den heutigen Schülern anders? Woher holen sie den Mut und die Kraft, um auf die Straße zu gehen? Kann es denn wirklich möglich sein, dass wir 2022, fast 2023, genau so unvernünftig sind wie 1994? Haben wir gar nichts dazu gelernt? 

Ich möchte nicht damit sagen, dass wir jetzt alle Veganer werden sollen und Plastik verteufeln müssen. Ich zähle mich selbst zu den Fleischessern und leider auch noch zu den viel zu viel Plastikkonsumierern. Upcycling ist zwar mittlerweile mein zweiter Name, aber selbst ich muss noch hart an mir selber, an mein Verhalten und Handeln, arbeiten. Ich werfe keine Steine und verurteile niemanden. Allerdings bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass dieser Planet nach Hilfe schreit und nicht mehr nur ruft. Werden meine Kinder oder Enkel / Urenkel noch die gleiche Welt kennenlernen und erleben, oder werden sie uns für unsere Taten verwünschen? 

 

Wie komme ich plötzlich zu so einem Sinneswandel? Der Klimawandel ist mir lange genug bewusst. Genauso wie das Tierartsterben und die Verschmutzung, die wir verursachen. 

Mülltrennung selbst war nie ein Problem, wurde allerdings, ehrlich gesagt, gelegentlich nicht so ernst genommen. Oft kam mir der Gedanke, ‚Es landet eh alles gemeinsam in der Müllverbrennung‘! Fleisch habe ich noch nie zu oft gegessen, aber auch nicht wirklich darauf geachtet, woher es kommt. Ich habe nie nur zu billig aber auch nie zu teuer eingekauft. Mir ebenfalls keine Gedanken dazu gemacht, was alleine die Massenproduktion für einen Rattenschwanz mit sich zieht. Wie viel Mikroplastik überall drin steckt, alleine in Kosmetika und was diese eigentlich mit der Erde und letztlich auch mit uns Menschen machen. Seien wir ehrlich, uns ist doch schon klar, dass alles auf uns zurückkommt?

 

Eines Tages also, lese ich einen interessanten Feed einer gefolgen Gruppe, mit der Aufforderung, für das Halloween-Special, über Sirenen zu schreiben und bestimmte Wörter dabei zu nutzen. Gut, denke ich, dass ich gerade einen Mako - Einfach Meerjungfrau Marathon hinter mir habe. Ich beginne also, just for fun und voller Neugier, ob ich in der Lage bin dies umzusetzen. Sehr schnell übernehmen die Protas ihr Eigenleben. Wie nicht anders zu erwarten. Was mich allerdings fassungslos und mit einem kleinen Beigeschmack zurücklässt, ist, in welche Richtung diese Story geht und was sie mit mir macht. 

 

Lest es selbst. 



Kvitøya

 

Es ist eisig kalt. Sven, mein Kollege, und ich befinden uns in norwegische Gewässer. Ziel ist Kvitøya in Spitzbergen. Diese Insel verbirgt einige geologische Geheimnisse und ich hatte vor diese mit meiner Mannschaft zu lüften. Es war vielleicht nicht die klügste Entscheidung, sofort aufzubrechen, aber nach diesen kursierenden Satellitenaufnahmen im Internet, blieb uns nichts anderes übrig. Ein wissenschaftlicher Fund ist durch die globale Erderwärmung ans Tageslicht gekommen. Als Naturwissenschaftler sollte ich mich eigentlich nicht darüber freuen, dass ausgerechnet die Erwärmung der Ozeane und das Schmelzen der Gletscher dazu beigetragen hat uns in der anthropologischen Forschung weiterzubringen. Und doch würde ich lügen, wenn ich das Gegenteil behaupte. So scheint diese eigentlich unbewohnte Insel im arktischen Ozean ein Juwel zu sein. Wir Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Inselgruppe Svalbard einst mit Grönland verbunden war. Wären die Aufnahmen tatsächlich echt, hieße es, dass die erste Zivilisation entweder schon vor vierzig Millionen Jahren existiert haben muss, oder aber zwei unterschiedliche Völker über einer Distanz von zweitausendvierunddreißig Kilometer, zwischen Grönland und Kvitøya die gleiche evolutionäre Entwicklung und den gleichen Glauben praktizierten. Beides eigentlich völlig undenkbar. Durch einen Gletscherabbruch ist ein unglaubwürdiges Monument zum Vorschein gekommen. Unmengen Massen von Eis und Schnee haben Eiswände, die mit mysteriösen Symbolen verziert sind, offengelegt. Es wird vermutet, dass dies der Eingang einer Tunnelanlage ist. Satellitenaufnahmen haben einen unterirdischen See auf der Insel aufgespürt, die, abgesehen von einer Öffnung unter Wasser, ebenfalls über das Festland durch einen Tunnel zu erreichen sein muss. Mir hätte jedoch auch bewusst sein müssen, dass wir uns in Gefahr bringen. Nicht nur die geologisch ungünstige Lage birgt ein Risiko. Spätestens nachdem die Elektronik auf unserem Schiff beim ersten Gewitter ausgefallen ist und wir, wie schiffbrüchige umhertrieben, hätten meine Alarmglocken schwirren müssen. Ich fühle mich, als sei ich Odysseus, der auf seiner Odyssee zusehen muss, wie seine Crew nach und nach schrumpft. All die tapferen Männer, die das gleiche Ziel verfolgten und für die, die Wissenschaft das Wichtigste war. Sie haben sich nach und nach ins tiefe kalte Blau geworfen. Wie verzaubert steuerten sie den Bug an. Mit glänzenden Augen und einem seligen Lächeln auf den Lippen als hätten sie das ersehnte Paradies gefunden. Mit ausgestreckten Armen, als würden sie nach etwas greifen, schrien sie: „Ich gehöre dir!“, und sprangen. Was zur Hölle glaubten sie zu sehen? Vor ihnen war das eisige Meer. Haben sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen?

Vor diesen Vorfällen verändert sich ständig von einer Sekunde auf die andere jedes Mal die Wetterlage. In dem einen Moment bezauberten uns noch die Polarlichter mit ihren grüntürkisen Schimmer, alles war seelenruhig, weckte die Hoffnung, und im nächsten Moment befanden wir uns in einem schrecklichen Unwetter wieder. Frostklirrende Luft, laute Donner, grelle Blitze und die tobenden Wellen. Als würde ein Meeresungeheuer nach uns greifen. Panisch krallten wir uns eins fürs andere Mal an der Reling fest und versuchten mit unseren glitschigen nassen, vor Kälte steifen Fingern, daran Halt zu bekommen und nicht auszurutschen. Die Angst zu sterben war auch nach dem siebten Mal nicht weniger groß. Ich verstehe ihr Verhalten nicht. Die Erleichterung, nach diesen Wetterphänomenen überlebt zu haben, ließ mich unbesiegbar fühlen. Sven erging es anscheinend nicht anders. So wie ich ist er ratlos. Und jetzt, sitzen wir auf Deck und überlegen fieberhaft, wie wir nach Kvitøya gelangen. Im Grunde liegt sie direkt vor uns. Wir können sie sehen, wenn auch nur schwach. Das verdammte Rettungsboot haben wir direkt beim ersten Versuch es nutzen zu wollen geschrottet. Wir haben mit ansehen müssen, wie das Seil, bei der riesigen Anstrengung es herunter zu lassen, gerissen ist und das Boot dabei gegen den Rumpf zerschellt ist. Es ist ein Glück gewesen, dass niemand darin gesessen hat. Weil hier alles elektronisch funktioniert, mussten wir alle zusammen erst versuchen das schwere Boot auf dem Wasser herabzulassen. Die Idee ist danach die gewesen, nach und nach ins Wasser zu springen und in das Boot zu gelangen. Wer hätte allerdings gedacht, dass der Teil mit dem Sprung als Vorlage dafür dient, seinem Leben einem Ende zu setzten. Schrecklich. Den Einfall diese letzte Distanz zu schwimmen, haben wir nach den mysteriösen Vorfällen der Crew und den wiederkehrenden Unwettern verworfen. Wir wären bei dem Versuch wahrscheinlich eh erfroren. 

„David, hörst du es auch?“ Sven steht auf und blickt hinaus aufs Meer.

„Meinst du die Stille?“ Ich schenke ihm keine Beachtung und versuche weiterhin, den Akku meines Handys mit meinen Händen aufzuwärmen. In der Hoffnung, dass es wenigstens für einen kurzen Notruf ausreicht.

„Nein, diese süße Melodie.“ Er seufzt laut auf. 

„Sven, fang du jetzt nicht auch an. Bitte. Ich will nur noch auf‘s Land, um anschließend auf unsere Rettung zu warten.“

„Sie ruft nach mir.“ Verträumt fasst er sich durch sein Haar und richtet seine Kleidung. Fasst so, als würde er jeden Moment seinen Schwarm gegenüber stehen.

„Hey, wovon redest du? Schau mich an. Sven!“

Seine Augen sind glasig und er macht mir Angst.

„Diese Stimme ist so schön.“

„Verdammt, welche Stimme? Es ist totenstill hier! Was hörst du?“ Genervt stehe ich ebenfalls auf und stelle mich zu ihm. Weit und breit ist nichts außer das Wasser. Andächtig setzt er sich in Bewegung und steuert den Bug an.

„Nein! Nein! Sven, halt. Nicht du auch noch. Bleib stehen.“ Mit ausgestreckten Armen stelle ich mich vor ihm.

„Du verstehst nicht. Ich muss zu ihr.“ Er schiebt mich beiseite und möchte weiter.

„Zu wem? Fuck, Sven. Was meinst du? Schau mich an.“ Gereizt ziehe ich an seinem Ärmel.

„Zu meiner Bestimmung. Ihr allein gehöre ich. Sie braucht mich.“ Er reißt sich energisch aus meinem Griff und schubst mich weg.

„Spinnst du jetzt total? Was denkst du zu hören?“ 

„Da ist sie.“

Fragend blicke ich in die angezeigte Richtung. „Das, das kann nicht sein. Es ist unmöglich.“

„Siehst du sie auch? Ist sie nicht wunderschön?“

Eine junge Frau schwimmt mitten im Meer. Ihr blondes Haar funkelt im Mondlicht. Vereinzelte goldene Schuppen bedecken spärlich ihren üppigen Busen. Ungläubig reibe ich meine Augen. Es sind Fabelwesen. Sie existieren nicht. Plötzlich klatscht sie ihren atemberaubenden Fischschwanz auf die Wasseroberfläche und holt mich damit aus meiner Trance. Böse funkelt sie mich an und wendet sich kurz danach von mir ab. Sie bewegt ihre Lippen, scheint zu singen und streckt ihre grazilen Arme aus dem Wasser. Mir wird bewusst, dass Sven mich umgangen hat, bereits am Bug steht und entschlossen ist zu springen. Flehend sehe ich die Sirene an. Verärgert wirbelt sie mit ihren Händen, als würde sie etwas beschwören. Dabei singt sie stumm weiter. Warum höre ich nichts? Verzweifelt sehe ich abwechselnd zu ihr und Sven. Die Melodie, die er meint, muss von ihr kommen.

„Sven, wach auf! Höre ihr nicht zu. Verdammt. Sven!“

Er reagiert nicht. Entschlossen versuche ich, einen Schritt auf ihn zuzugehen, und stelle fest, mich nicht bewegen zu können. Fuck. Hilflos muss ich mit ansehen, wie Sven über die Reling klettert und abspringt.

„Sven!“ Mein Schrei hallt nach, während ich die nun leerstehende Stelle fixiere. Zitternd falle ich auf die Knie. Das kann nicht sein. Es ist ein Alptraum. Wie konnte das nur passieren?

Das Meer ist nun wieder spiegelglatt und niemand außer mir scheint hier zu sein. Keine Sirene und kein Sven, nur Dunkelheit. Die mich umgebende Stille ist bedrückend. Eine schwere Last hält mich zu Boden und ich weiß zum ersten Mal in meinem Leben nicht, was ich tun soll. Mein Verstand weigert sich, dass gerade erlebte zu verstehen oder gar zu akzeptieren. Demoralisiert lasse ich mich vollends fallen und der diffuse Schmerz an meiner Schläfe ist wahrscheinlich meiner überlasteten seelischen Verfassung geschuldet. Ungewollt gehe ich im Stillen die letzten Tage durch und durchlebe erneut jeden einzelnen Tod meiner Kameraden. An meinen Verstand zweifelnd schüttele ich den Kopf dabei. Ein leises Summen lässt mich aufhorchen. Es ist, als wäre die Luft um mich herum elektrisiert. Funkelnde Flocken schimmern umher und allmählich erkenne ich eine Melodie heraus. Sie klingt lieblich und wärmt mich von innen. Instinktiv wippe ich den Gesang mit. Einzelne mir unbekannte Worte prägen sich in meinem Gedächtnis. Sie wirken magisch und aus einer anderen Welt. Unbewusst singe ich diese bei der nächsten wiederholenden Strophe mit. Der Vollmond befindet sich direkt über mir und beleuchtet das Wasser. Neugierig, ob ich dieses Wesen wieder erblicken werde, nähere ich mich der Reling und halte Ausschau nach ihr. Die Musik wird stetig klarer und mir scheint, als würde ich diese mir fremde Sprache verstehen. Ich kann ihren Schmerz fühlen. Wie tausend Nadelstiche zerreißt das üble Leid ihr Herz. Ich habe Mitleid mit ihr. Möchte zu ihr, sie umarmen, sie trösten, sie lieben. Unbewusst strecke ich meine Hände nach ihr aus. „Komm her. Ich möchte dir helfen“, rufe ich nach ihr. Sie soll wissen, dass ich sie nicht alleine lasse. Ich werde ihre Stütze sein, ihr Fels in der Brandung. „Zeige dich! Bitte.“ Der Ozean gerät in Bewegung und es entstehen Wellen. Die funkelnden Kristalle aus der Luft bündeln sich zu einer rotierenden Säule direkt vor mir. Der Luftwirbel nimmt zügig an Geschwindigkeit zu, obwohl es keine Anzeichen für einen erneuten Sturm gibt. Ein Kälteschauer erfasst mich und lässt mich erschaudern. Hektisch entweicht mein Atem, der als kondensierte kleine Wölkchen aufsteigt. Ich spüre meinen gehetzten Herzschlag und fühle mich benommen. Was zum Teufel geschieht hier und warum stehe ich bereit zum Sprung? Hastig klettere ich die Reling herunter und halte mich mit zitternden Händen daran fest. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Es umgibt mich eine beängstigende Ruhe und die Erkenntnis, völlig alleine im arktischen Meer zu sein. Hoffnungslosigkeit überfällt mich. Ich frage mich, ob ich jemals wieder meine Familie und Freunde sehen werde. Die Chancen standen zu Beginn der Odyssee fifty-fifty. Doch jetzt. Wie soll ich alleine und ohne Antrieb zur Insel gelangen?

Ein Plätschern in unmittelbarer Nähe lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich blicke zu der Stelle auf das Meer und sehe sie. Neugierig beobachtet sie mich und schwimmt dabei auf der Stelle. Eine gefühlte Ewigkeit schauen wir uns nur an, bis ich das Schweigen breche. „Hast du meine Mannschaft auf dem Gewissen?“ Interessiert neigt sie den Kopf. Mir hätte klar sein müssen, dass ich keine Antwort von ihr bekomme und doch muss ich diese mich belastenden Fragen stellen. „Warum hast du sie getötet? Wirst du auch mich töten?“ Meine Stimme klingt schrill und laut, so gar nicht nach mir. Aufbrausend nähere ich mich der Reling und stelle mich vor ihr auf. Mich wird sie nicht auch kriegen. Niemals. „Ich werde nicht das gleiche Schicksal teilen. Hörst du?“

„Du hast einen starken Willen, Mensch!“ Ich bin erschrocken darüber, dass sie unsere Sprache spricht, mich versteht. Diese Tatsache lässt mich erzittern. Das vorherige Lied erklingt wieder und es fügen sich stetig mehr Stimmen hinzu. Die Versuchung ihr zu verfallen wird größer.

„Ich … werde nicht aufgeben. Ich ergebe mich dir nicht.“

„Glaubst du wirklich du hättest eine Wahl? Ich lasse dich nur gewähren. Zeige dir eine Welt, die sonst für alle anderen deiner Art verwehrt ist. Du solltest dich glücklich schätzen.“

„Ihr seid Fabelwesen, ihr existiert nicht.“

„Fabelwesen.“ Sie spricht dieses Wort abschätzig aus. „Du hast doch keine Ahnung. Uns gab es schon lange vor eurer Zeit. Ihr habt es unserer Mutter zu verdanken, dass unsere Rache euch erst so spät erreicht. Jahrtausende mussten wir Sirenen mit ansehen, wie ihr unsere Ozeane zerstört. Seit eurer Industrialisierung macht ihr nichts anderes, als die Ressourcen dieser Erde auszuschöpfen und sie mit dem Endprodukt zu vergiften. Viel zu lange haben wir gehofft, waren den Irrglauben unterlegen, ihr würdet vernünftig genug sein und eure eigene Welt nicht zerstören. Doch jetzt ist Schluss.“

Jahrtausende? „Ihr seid wirklich.“ Diese Realität trifft mich. All die Erzählungen aus vergangenen Zeiten. Die Geschichten der Seefahrer. Sie sind wahr. „Warum habt ihr euch nicht eher gezeigt? Vielleicht hätten wir anders gehandelt?“ Ich klinge wie ein trotziges Kind und regiere auf ihre Überheblichkeit, die mich stört.

„Sind die Lebewesen des Meeres, Fische, so nennt ihr die Bewohner meines Reiches doch. Sind sie es nicht wert gewesen euer Handeln zu umdenken? Endlich den Kurs zu ändern! Sind diese sogenannten Tiere, euch so unterlegen? Ist allein die Tatsache, dass wir zur Hälfte menschlich wirken, dafür ausreichend, eine andere Politik einzuschlagen und diese vor allem diesmal einzuhalten?“

Ich habe darauf keine Antwort. Im Grunde hat sie recht. Wir Menschen haben bisher nur geschafft, unseren Planeten zu zerstören. Unser ganzer Müll, angefangen beim Plastik, landwirtschaftlichen und industriellen Abfällen bis über zu den Chemikalien, radioaktiven Abwässern und Ölverschmutzung. All diese Erzeugnisse entsorgen wir unachtsam. Zum größten Teil gelangen sie über die Gewässer in das Meer. Mir kommen Bilder von völlig verklebten Seevögeln und verschmutze Küsten in den Sinn. Die schleichende Ölpest, sei es durch Schiffsunglücke oder Unfällen auf Bohrinseln, sind nur ein geringer Teil des Ganzen Unheils. Wie oft haben wir in den vergangenen Jahrzehnten diese Aufnahmen in den Nachrichten gesehen? Tatsächlich viel geändert wurde nichts. Vereinbarungen, die durch gelegte Schlupflöcher umgangen werden. Die Wirtschaft ist stets wichtiger. Denken wir tatsächlich, alles sei einfach so aus der Welt, nur weil wir es nicht sehen?

„Bist du sprachlos, Mensch.“

„Ja, das bin ich.“ Es ist keine richtige Antwort, denn ich flüstere sie vor mich hin. Mit gesenkten Kopf stehe ich an der Reling. Wieder einen Schritt davor, in die Fluten zu springen, allem ein Ende zu setzen, und doch weigert sich etwas in mir. 

„Vielleicht“, wage ich eine weitere Initiative sie davon zu überzeugen, dass ich anders bin, dass ich verantwortungsbewusst bin, „ist es noch nicht zu spät, diesen Planeten zu retten. Klar, es wird nicht, wie früher, der Schaden ist da und wir können nichts rückgängig machen aber …“ 

„Still!“, unterbricht sie mich barsch. „Diese Welt ist ihrem Untergang geweiht. Es wird nicht mehr lange dauern bis auch euch klar sein wird, dass das Aussterben aller Rassen bereits voll im Gange ist. Dass auch ihr betroffen seid. Der Sauerstoff wird sich weiter verdünnen, so dass nichts wachsen, nichts gedeihen kann. Elendig werdet auch ihr krepieren. So wie es unseren Kindern widerfahren ist. Weil euch die Luft zum Atmen fehlen wird. Weil ihr euch selbst vergiftet habt.“ Ein lautes Geheul bricht aus. Der vorherige melodische Gesang, der mich verführen sollte, ist in Wehklagen übergegangen. Er beschert mir eine Gänsehaut und stimmt mich trübsinnig.

„Eure Kinder, wie …?“

„Wie ihr sie getötet habt?“ Ihre Frage ist eher eine Anschuldigung, dennoch nicke ich. „Es ist zu wenig Sauerstoff in den Meeren. Pflanzen und Tiere sterben aus, die Algen vermehren sich. Soll ich fortfahren?“ 

Ich verneine kopfschüttelnd, denn ich verstehe. Unser Handeln hat sie und viele andere Lebewesen und Pflanzen auf dem Gewissen. Mir wird schwer ums Herz.

„Die Kiemen unserer Schlupflinge sind nicht ausgereift gewesen.“ Führt sie fort. „Selbst die Flucht vor den Todeszonen hat ihnen nicht mehr helfen können. Jahrelang konnten wir ihnen wenigsten so etwas mehr Zeit verschaffen. Doch selbst das, ist jetzt nicht mehr möglich. Sie sind elendig erstickt.“ Mittlerweile schreit sie mich an. Ihr Zorn ist unaufhaltsam und mir ist klar, dass ich nicht mehr lange zu leben habe. 

„Werdet ihr wenigstens …,“ ich traue mich nicht, ihr in die Augen zu sehen. Zu groß ist meine Scham. Schließlich gehöre ich zu der Spezies, die ihre bedroht. 

„Auch wir werden daran glauben müssen. Dank euch. Doch solange wir noch durchhalten können, werden wir an euch Rache üben. Ihr sollt so sterben, so leiden, wie unsere armen Kinder.“

Das zuckersüß klingende Lied erklingt wieder und ich spüre den Sog Richtung Meer an mich ziehen. Diesmal wehre ich mich nicht dagegen, sondern blicke auf den Ozean hinaus. Ein Schwarm Sirenen erhebt sich. Der Anblick ihrer hellen funkelnden Haare und schimmernden Schuppen ist atemberaubend schön. Ich ergebe mich ihrem betörenden Gesang und springe. 

Unter Wasser verspüre ein einen Stich. Die Kälte erfasst mich umgehend. Instinktiv versuche ich, an die Oberfläche zu gelangen, doch ich komme nicht voran. Panik erfasst mich, bis ich sie sehe. Vor mir taucht sie, die Anführerin der Sirenen. Sie ist die Versuchung aus Grimms Märchen. Ihre Erscheinung ist bezaubernd. Vereinzelte Muscheln schmücken ihr blondes langes gewelltes Haar. Ihre großen Augen strahlen in einem grellen Türkis und ihre betörenden roten Lippen erwecken den Wunsch sie zu küssen, sie zu besitzen. Eine Spur aus feinen silbrigen Eiskristallen bedeckt ihre komplette weiße Haut und lässt sie Schimmern. Goldene Schuppen verdecken spärlich ihren vollen Busen. Bis zur Mitte wirkt sie vollkommen menschlich. Der imposante lange schuppige Fischschwanz, der von der Taille abwärts führt und in sämtlichen Gold-Blautönen bis zur Schwanzflosse, funkelt, lässt jedoch keinen Zweifel mehr übrig. Sie ist wahrhaftig eine Sirene. Elegant bewegt sie sich im Wasser und beobachtet mich. Die Luft in meinen Lungen wird knapp und ich weiß, dass ich sterben werde, dennoch sträubt sich mein Körper, mein Verstand dagegen. Diese kämpfen ums Überleben. Mein Herzschlag verlangsamt sich, meine Muskeln schmerzen, jede weitere Bewegung wird zur Qual bis mich ein Krampf erfasst. Ich reiße den Mund auf, schlucke Wasser und versuche zu atmen. Doch da ist nur noch mehr Wasser. Ich huste, kneife meine Augen zusammen und verliere das Bewusstsein.

 

Copyright Ella Segreti